Predigt anlässlich des Festgottesdienstes zum 75-jährigen Jubiläums der Wolfbuschkirche am 17. März 2013 von Pfarrerin Guntrun Müller-Enßlin
Liebe Wolfbuschkirche, liebes Geburtstagskind, liebe Jubilarin,
als ich vor mehr als sieben Jahren zum ersten Mal meinen Fuß über Deine Schwelle gesetzt habe, habe ich mich sofort wohlgefühlt. Damals wusste ich noch nicht, dass mir eines Tages die Freude und die Ehre zuteil werden würde, zu Deinem 75. Geburtstag die Festrede, die Festpredigt zu halten. Seit ich es weiß, habe ich mir immer wieder Gedanken gemacht, habe gelesen und mir erzählen lassen, was Du alles erlebt hast während dieser 75 Jahre, die für einen Kirchenbesucher viel sind, ein ganzes Menschenalter, für ein Gotteshaus aber noch zur Jugendzeit gehören. Deine ältere Schwester in Alt-Weilimdorf, die Oswaldkirche, hat immerhin ein Vielfaches an Lebensjahren auf dem Buckel …
Trotzdem mag in den 75 Jahren, die du gesehen hast, so vieles geschehen sein, an Interessantem, Traurigem, Fröhlichem, an das zurückzudenken wäre, dass es in diesen Gottesdienst auch nicht annähernd hineinpasst. Wenn du aus deinem Leben erzählen könntest, was würdest du berichten?
Gewiss nur andere können Worte machen über die Anfänge, über das, was war, als hier noch gar nichts war, über jenen Sommertag im Juni 1937, dem Tag des ersten Spatenstichs, nicht, wie von der Gemeinde gewünscht, im Zentrum ihrer Siedlung, sondern am Rand, nur das wollte die Stadt dulden. Am 11. Juni 1937 wurde Dein Grundstein gelegt, liebe Wolfbuschkirche. Von Anfang an sollten Deine Räume auch Platz für eine Kindergartengruppe bieten. Die Zeit Deiner Entstehung war ein Hin und Her, ein Hüh und Hott zwischen Baustopp und Weiterbau, sicherlich beeinflusst vom politischen Zeitgeschehen, dem Aufstieg des Nationalsozialismus, der später darauf hinwirkte, dass der Kindergarten kaum ein Jahr nach seiner Eröffnung wieder geschlossen werden musste. Zuvor aber konnte man Richtfest feiern und am 20. März 1938 dann, fast auf den Tag genau heute vor 75 Jahren, Deine Einweihung durch den damaligen Landesbischof Wurm. Fotos zeigen die Gemeinde, wie sie feierlich in Deine Räume einziehen – im strahlenden Sonnenschein, wie erzählt wird, über die Außentemperaturen weiß man indessen nichts. Nebenbei – so einen festlichen Einzug hätten wir anlässlich Deines Geburtstags gerne wiederholt, aber die Organisation hat sich dann doch als zu schwierig erwiesen mit all den Gästen, dem Posaunenchor, dem Kirchenchor… Eine Anekdote vom Tag der Einweihung erzählt man sich – wie Stadtpfarrer Schöll versucht hat, Deine Eingangstür mit dem übergebenen Schlüssel zu öffnen und dies nicht gelingen wollte – bis sich herausstellte, dass die Tür gar nicht verschlossen gewesen war. Ein schönes Sinnbild für das, was viele spüren, wenn sie bei Dir eintreten: das Einladende, Wohnliche, Niederschwellige, das es auch Kirchenferneren leicht macht, hereinzukommen, Platz zu nehmen, sich wohl zu fühlen. Der Tag der Einweihung war ein Tag der Freude und des Dankes – noch ahnte die junge Gemeinde nicht, was ihr und Dir in nächster Zukunft alles bevorstehen würde.
Gleich in Deinen ersten Lebensjahren, Deiner frühen Kindheit sozusagen, hast Du Dunkles und Schweres erlebt. Wenn Du sprechen könntest, könntest Du uns wohl nicht ersparen, uns zu erzählen von Fliegerangriffen und Bombennächten, wohl besonders von jener des 29. Januar 1945, als Du schwer getroffen wurdest, Dein Dach verlorst, die Orgel ausbrannte, Deine Fenster und Türen zersplitterten. Danach war es zunächst einmal vorbei mit Gottesdiensten in Deinen vier Wänden, nur im Nebenraum, notdürftig hergerichtet, konnte man sich sonntags noch versammeln. Nun hatte sich die Gemeinde schon bei Deinem Neubau 8 Jahre zuvor dadurch ausgezeichnet, dass sie die Dinge, wenn Not am Mann oder vielmehr an der Kirche war, selbst in die Hand nahm, und auch die entsprechenden Geldmittel beisteuerte; und das tat sie 1945 nach Kriegsende wieder. Die Gemeinde in Zusammenarbeit mit dem Kirchengemeinderat und dem damaligen Stadtpfarrer Frasch war sich nicht zu schade, selbst anzupacken, die Bombenschäden zu beseitigen und Baumaterial, insbesondere Holz, heranzuschaffen. 1946 konnte zunächst der Kindergarten in Deinen Räumen wieder seine Tätigkeit aufnehmen, im Oktober fand der erste Gottesdienst nach Deiner Instandsetzung statt. Die folgenden Jahre galten Deiner Innenausstattung, die mit Sorgfalt und viel Liebe ausgewählt und bewerkstelligt wurde: Zwei Glocken fanden Heimat in Deinem Glockenstuhl, Orgel und Turmuhr wurden renoviert und schließlich wurdest Du mit Deinem schönsten Schmuckstück, dem bunten Chorfenster beschenkt. Deine Räume waren jetzt erfüllt von Leben, nicht nur am Sonntag beim Gottesdienst sondern auch unter der Woche mit Kinderlachen im Kindergartenraum nebenan. In der Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum ist zu lesen: Das schmucke Kirchlein konnte die Gemeindeglieder wieder so erfreuen wie früher. In der Tat begann eine Zeit, in der die Wolfbuschler Deine vier Wände, ihre Kirche, nutzen und genießen konnten. Und so blieb es über viele Jahrzehnte. Kindergarteneltern bauten in Eigenarbeit nach Feierabend und am Wochenende Dein Kellergeschoss zu neuen Kindergartenräumlichkeiten aus und selbst, als in den letzten Jahren die Geldmittel immer knapper wurden, scheute die Gemeinde keine Mühen, Deine Mauern, Dein Inneres zu versorgen, Dich wohnlich zu erhalten, Dich zu heilen von Plagegeistern wie dem Holzwurm, der sich im Gestühl eingenistet hatte, oder von einem Wasserschaden im Untergeschoss, nach welchem der Kirchengemeinderat tagelang im Schweiße seines Angesichts Kinderspielzeug dekontaminierte – das Wort werde ich nie wieder vergessen. Deine Fenster wurden in einer samstäglichen KGR-Aktion blank gescheuert und zum Leuchten gebracht, letztes Jahr weißelten fleißige Kindergarteneltern den Gruppenraum und rechtzeitig zu Deinem Jubiläum gab es vor kurzem neue Sitzpolster für Deine Bänke, geschneidert von den Händen fleißiger Gemeindemitglieder. All dies geschah unentgeltlich, mit großem Engagement und im Ehrenamt. Dein Wohl lag unserer Gemeinde immer am Herzen, nicht von ungefähr, die Wolfbuschler wussten, was sie an Dir hatten und wollten es behalten.
Denn, liebe Gemeinde,
wie gut ist das, das wir Kirchen haben, Gotteshäuser! Wie gut, dass wir UNSERE Kirche, die Wolfbuschkirche haben! Die Jahreslosung sagt uns: Wir haben hier keine bleibende Statt, aber eine Zukünftige suchen wir. Das suggeriert Vergänglichkeit, Interim, das suggeriert Unterwegssein und Reise. Der Bau von großen steinernen Gebäuden, von Kirchen, die dann viele Jahrzehnte, im besten Fall Jahrhunderte, also halbe Ewigkeiten lang stehen, wirkt im ersten Augenblick wie ein Gegensatz dazu. Und dennoch oder gerade: Wie gut, dass wir auf unserem Lebensweg, auf unserer Reise näher zu Gott, auf dem Weg zu unserer zukünftigen Statt die Gotteshäuser haben. Unsere Kirchen sind die Herbergen, sind Raststätten auf diesem Weg, sind Gästehäuser am Wegrand, Bleiben, in denen wir Halt machen, Rast machen, zu uns kommen und Kraft schöpfen können, um alsbald gestärkt, ermutigt, vergewissert in unseren Wurzeln und der Richtung unseres Weges weiter zu gehen. In den Kirchen haben wir unser vorläufiges Rendezvous mit Gott, hier öffnen sich Fenster zu Gott in Lied und Predigt, zum Mitmenschen in Gebet und Fürbitte. Im Abendmahl sind wir eingeladen an Gottes Tisch und nehmen als Gemeinde Jesu Christi das große Festmahl in Gottes Haus vorweg. Die Gotteshäuser samt ihrer Vergangenheit, so alt und ehrwürdig sie auch sein mögen, sind zugleich Abbild und Sinnbild der Zukunft; sie künden davon, was auf uns wartet und wie es einst sein wird in der bleibenden Statt.
In diesem Sinn hat unsere Wolfbuschkirche in den vergangenen 75 Jahren vielen vielen Menschen auf ihrer Lebensreise ihren guten Dienst erwiesen. Nicht nur bei den sogenannten „Rites de Passage“, den Übergängen von der einen zur anderen Lebensstufe: Taufe, Konfirmation, Goldene Konfirmation, Eheschließung oder Ehejubiläum. Als Herberge, Gast-Stätte eingeladen zur Einkehr hat uns unsere Wolfbuschkirche auch und gerade im normalen Lebenstrott, da wurde und war sie uns heilsame Unterbrechung des Alltags, Oase der Ruhe, Kraftquell, Innovationsschmiede, in der Neues wachsen konnte in Gedanken und für das Handeln. Ich selber kann mich an viele Augenblicke erinnern, in denen ich in unserer Kirche in einer Bankreihe saß und mich dem Himmel, der bleibenden Statt, ein Stück näher fühlte, geborgen, beflügelt, auf-gehoben zu Gott im wortwörtlichen Sinn.
– Ob ich einem Orgelstück von Bach lauschte oder einem Lied des Kinderchors oder dem Glockenläuten an Weihnachten,
– ob meine Augen in der Osternacht dem Licht der Osterkerze folgte, als sie in den dunklen Kirchenraum hineingetragen wurde,
– ob ich im Stillen Gebet spürte, wie sich ein Fenster zu einem meiner Mitmenschen öffnete,
– ob beim Weihnachtsspiel der Kindergartenkinder der Raum um mich her von Kinderstimmen schwirrte,
– ob er bei einem Konzert vor Musik toste
– oder ob es ganz still war und das bunte Chorfenster Blicke und Gedanken auf sich zog, – immer spürte ich, dass etwas von Gottes Geist da war, ein Geist der Andacht, der Ruhe, der Freude, des Jubels, der Höhe und der Tiefe zugleich, und sich in diesem Kirchenraum niedergelassen hatte. Sicher haben viele von Ihnen heute, die Sie hier sitzen und jede und jeder für sich Ihre eigene Geschichte mit der Wolfbuschkirche haben, ähnliche Momente in diesen Räumen erlebt. In der Erinnerung daran sagen wir heute:
Danke, liebe Wolfbuschkirche, für das, was Du uns warst und sein konntest in all den Jahren. Und wir blicken nach vorne und freuen uns, was Du uns sein kannst und sein wirst in Zukunft. Weil wir wissen – wir haben hier keine bleibende Statt, sondern eine Zukünftige suchen wir –, deshalb ergreifen wir dankbar die Möglichkeit, inne zu halten in unserer Wolfbuschkirche, der Herberge, der Gaststätte Gottes auf Erden und auf unserem Weg.
Die Tür ist offen, Musik ertönt, der Tisch ist gedeckt, das Abendmahl steht schon auf dem Altar … Tretet ein, nehmt Platz, lasst uns miteinander feiern – es ist alles bereit! Amen.
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