Baustelle – Late Night Gottesdienst zum neuen Gemeindehaus

Baustelle – Late Night Gottesdienst zum neuen Gemeindehaus

Das sanierte Gemeindehaus in der Ludmannstraße. Foto: Sabine Löw
Das sanierte Gemeindehaus in der Ludmannstraße. Foto: Sabine Löw

Das Gemeindehaus der Evang. Oswald-Wolfbusch-Kirchengemeinde wurde im Sommer 2014 saniert – mit dem Ergebnis sind wir alle sehr zufrieden! Im Rahmen eines “Late-Night-Gottesdienstes” am 5. Juli 2014 hat sich das Team von Veronika Zilker, Sylvia Rados, Alexandra Anhäuser, Karin Kuttner, Karin Holzäpfel und Sabine Löw Gedanken zum neuen Gemeindehaus gemacht:

Veronika Zilker: Baustelle

Wir haben unserem Gottesdienst das Thema „Baustelle“ zugrunde gelegt. Im Vorbereitungsteam kam dazu gleich der Einwand: Das Wort ist negativ besetzt, das können wir doch nicht machen.
Tatsächlich ist für die meisten Menschen das Wort mit negativen Gefühlen verbunden. Lärm, Gestank Behinderungen, Kosten, Streit, Unsicherheit, wird es so, wie ich es mir vorstelle?
Oder denken wir dabei auch an unsere eigenen Baustellen im Leben?
Es gibt einige Redewendungen dazu. Zum Beispiel: „Das Leben ist eine einzige Baustelle“. Das Leben ist unfertig, unsicher, unvollkommen, immer im Fluss und nie vollendet.
Oder: „Das ist nicht meine Baustelle!“ Dafür bin ich nicht zuständig! Damit habe ich nichts zu tun!
Doch haben Baustellen nicht auch etwas Faszinierendes? Schon kleine Kinder spielen leidenschaftlich gerne mit Bauklötzen. Junge Erwachsene schließen Bausparverträge ab und schmieden Baupläne.
Vor jeder Baustelle kommen also Ideen, Pläne oder sogar Visionen. Wir stellen uns vor, wie toll das fertige Haus wird, alles wird schöner, besser. Von Visionen spricht schon die Bibel. In der Genesis hören wir vom Turmbau zu Babel. Die Menschen wollten ein Gebäude mit einer Spitze bis zum Himmel bauen und sich einen Namen machen. Doch Gott brachte die Sprachverwirrung unter das Volk. Er wollte nicht, dass das Volk übermütig werde.
Die Pyramiden von Gizeh in Ägypten gehören zu den bekanntesten und ältesten erhaltenen Bauwerken der Menschheit. Sie entstanden etwa um 2500 v. Christus. Sie sind Grabmale für die Götter und Könige.
Wir kennen die Tempel der Griechen, die frühchristlichen Basiliken, die gotischen Kathedralen des 12. Und 13. Jahrhunderts und die reich verzierten Barockkirchen. Die Menschen schufen die schönsten Häuser für ihre Götter oder zu Ehren Gottes. In der Reformation kam dann die Gegenbewegung, der Bildersturm. Das Wort sollte im Vordergrund stehen, nicht das Gebäude.
Später kam die Zeit, als die weltlichen Herrscher mächtiger waren als die Kirche. Es entstanden Schlösser wie die von Versailles und Ludwigsburg.
Und heute? Die mächtigen Banken bauen ihre Hochhäuser, es entstehen Konsumpaläste. Unsere Kirchen werden kleiner, manche müssen verkauft werden.
Baustelle, wo haben wir in der Gemeinde Baustellen? Kirchenaustritte, zu wenige Hauptamtliche, zu wenig Zeit der Ehrenamtlichen, Kommunikationsprobleme, finden sich alle Menschen in der Gemeinde wieder? Junge alte, reiche, arme?
Wir als Kirchengemeinderat haben uns vorgenommen, einige Baustellen abzuräumen. Dazu gehört auch die Sanierung des Oswald-Gemeindehauses. Und was wir uns dabei gedacht haben, erfahren Sie in den nachfolgenden Texten.

ANSPRACHE

Sylvia Rados: Das Gerüst

Werkleute sind wir: Knappen, Jünger, Meister,
und bauen dich, du hohes Mittelschiff.
Und manchmal kommt ein ernster Hergereister,
geht wie ein Glanz durch unsre hundert Geister
und zeigt uns zitternd einen neuen Griff.

Wir steigen in die wiegenden Gerüste,

in unsern Händen hängt der Hammer schwer,
bis eine Stunde uns die Stirnen küsste,
die strahlend und als ob sie Alles wüsste
von dir kommt, wie der Wind vom Meer.

Dann ist ein Hallen von dem vielen Hämmern
und durch die Berge geht es Stoß um Stoß.
Erst wenn es dunkelt lassen wir dich los:
Und deine kommenden Konturen dämmern.

Gott, du bist groß
Ich liebe dich

So beschreibt Rainer Maria Rilke in “das Stundenbuch” zur Jugenstilzeit die Arbeit auf dem Gerüst bei der Fertigung eines Mittelschiffs einer Kirche.

Gerüst
Gerüstet
Gerüstet sein

Gerüste sind schnell aufgebaute Provisorien, die die Möglichkeit bieten ein Bauwerk, das für eine gefühlte Ewigkeit erbaut wird, zu zu errichten. Ohne diese Hilfsmittel, gäbe es weniger neuen Häuser, Kirchen, Kindergärten Sporthallen, die Bauzeit wäre um ein xfaches länger, die Arbeiten unbeschreiblich gefährlich.

Die Gerüste schützen die Arbeiter vor Balanceakten in schwindelerregender Höhe, ermöglichen kreatives Schaffen, der die volle Energie und Konzentration zur Verfügung steht. Weder Angst noch Schrecken beeinträchtigen das Ergebnis.
Die Schutznetze der Provisorien schützen Passanten vor herabfallenden Schrauben, Dübeln, Nägeln, schlimmstenfalls auch vor schweren Bohrmaschinen und großflächigen Dämmplatten.
Das Gewebe schützt parkende Autos vor Staub, Klebstoff und bunten Farbklechsen
Gewiss ist Fassadendämmung ohne Gerüstbau heute undenkbar, das war nicht immer so.
Trotzdem wird der Gerüstbauer selten bei den Einweihungsfeiern neuer Immobilien gewürdigt. Er hat keine Spuren hinterlassen, wie es sein soll. Doch ohne dieses jahrhundertealte Technik ist sicheres Arbeiten in hohen Höhen nicht machbar. Auch nicht an unserem fast 15 m hohen Gemeindehaus. Ebensowenig sind große Herausforderungen, die unser Leben spicken, ohne tragende Elemente nur schlecht zu bewältigen.
Diese notwendigen Stützen tragen verschiedenste Namen:
Motivation, Durchhaltevermögen, mentale Stärke, körperliche Fitness, Mut, Erfahrung, Vernunft, Freude, Gottvertrauen,
Diese Träger unseres Seins sind unser Gerüst, auf die wir uns in Zeiten der Bedrängnis verlassen dürfen, wie die Handwerker auf dem wiegenden Gerüst, die sicher arbeiten können, dürfen wir mit unseren Stützen gut leben, auch wenn unser Schiff im schweren Wasser unterwegs ist.
Diese stabilisierenden Elemente sichern nicht nur das Leben des Betroffenen, auch die Angehörigen oder wie man so schön sagt, sein soziales Umfeld, profitiert von den Absicherungen. Vergleichbar mit den Passanten und Fahrzeugen, die in unmittelbarer Nähe der Baustelle verweilen. Jeder Umbau, egal ob handwerklicher Natur oder Veränderung der Lebensumstände, braucht sein Korsett. Und diesem Gerüst in all seiner Vielfalt gebührt unser Respekt und Anerkennung.

Alexandra Anhäuser: Rot, Fassade und Dach

Für unser Gemeindehaus haben wir die Farbe rot ausgewählt. Es ist ein sehr kräftiges rot, das mich an Südfrankreich erinnert. Es gibt in Nizza ein wunderschönes Matisse Museum auf einer Anhöhe in genau dieser Farbe. Ich finde diese Farbe sehr schön, weil sie für mich Wärme und Lebendigkeit ausstrahlt.
Unser Gemeindehaus hat auch ein rotes Dach. Es ist ein grosser auffallender Bau mit roter Fassade und rotem Dach, nicht zu übersehen.
In wikipedia steht zu rot, dass diese Farbe sehr früh in der Entwicklung der meisten Sprachen ein eigenes Wort erhielt, gleich nach der sprachlichen Unterscheidung von hell und dunkel.
Das erinnert mich an die Bibel-Stelle, als Gott Hell und Dunkel getrennt hat und das Helle den Tag und das Dunkel die Nacht nannte. Ich stelle mir vor, dass die Menschen schon vor Urzeiten die Farbe rot also so schön empfunden haben, dass sie dafür ein Wort gesucht haben.
Rot steht auch für die züngelnde Flamme des Feuers. Rot ist eine warme Farbe und gilt als die Farbe des Blutes und des Lebens. Sie bedeutet Energie und Wärme.
Rot steht für Freude und Leidenschaft und Liebe.
Im Christentum ist Rot die Farbe des Heiligen Geistes.
Das sind doch sehr schöne Assoziationen für ein Gemeindehaus.

Karin Kuttner: Die Farbe Weiß

Die Farbe Weiß gibt unserem neuen Gemeindehaus ein Gesicht – weiße Fensterrahmen, weiße Fensterläden.

Dort, wo uns das Weiß entgegenleuchtet, da öffnet sich das Haus für uns – das „Draußen“ kann hereinkommen, das „Drinnen“ kann nach außen sichtbar werden.

Strahlendes weißes Licht kann die Räume durchdringen; dieses Licht, das die Summe aller Farben ist, was im Regenbogen sehr gut sichtbar wird.

In der Bibel wird immer wieder von weißem Licht und weißen Gewändern berichtet:
Matthäus berichtet von der Verklärung Jesu auf dem Berg Tabor –
Jesu Gesicht leuchtet so hell und klar wie die Sonne, und sein Gewand wird strahlend weiß. Wie einen Engel, so strahlend, licht und klar sehen ihn seine Jünger.

Die Verbindung Jesu mit Gott, die ihn aus der rein menschlichen Ebene herausnimmt, zeigt sich hier durch das strahlende Weiß seiner Kleidung. Keine Befleckung ist zu erkennen. Der Evangelist will den Gläubigen verdeutlichen, dass der Gottessohn völlig rein und makellos ist.
Der Evangelist Lukas berichtet:
Die Engel trugen strahlende Gewänder und verkündeten den Frauen, dass Jesus von den Toten auferstanden ist. Hier zeigt sich wieder die Verbindung des Himmlischen, des Reinen und des Vollkommenen mit der Farbe Weiß.
Und noch auf etwas anderes verweist diese Farbe hier: Es ist die Farbe des Lebens. Das Leben, das Helle und Lichte hat den Tod und das Finstere überwunden. Die Zeit der Trauer und des Schmerzes ist überwunden, was nun folgt, ist die Zeit der Freude.

Auch im Leben der Christen spielt die Farbe Weiß eine große Rolle – beim weißen Taufkleid, dem weißen Kleid zur Erstkommunion und das weiße Brautkleid zur Hochzeit. Aus der jüdischen Tradition ist noch das weiße Totenhemd überliefert.

Für die Malerei spielt die Farbe Weiß eine große Rolle. Um mit den verschiedenen Farben kreativ umgehen zu können, bedarf es als Grundlage eines weißen Papiers oder einer weißen Leinwand.

Der Maler Kasimir Malewitsch hat im Jahr 1919 mit seinem Werk „Weißes Quadrat auf weißem Grund“ Aufsehen erregt. Er konnte die Weißheit der Kunst gar nicht hoch genug rühmen. Er sah
„Weiß als die wahre, wirkliche Idee der Unendlichkeit.“

Karin Holzäpfel: Das Licht

Im Matthäusevangelium nach den Seligpreisungen, im 5. Kapitel in den Versen 14 bis 16,
sagte Jesus:
Ihr seid das Licht der Welt,
es kann die Stadt die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein.
Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter den Scheffel,
sondern auf einen Leuchter,
so leuchtet es allen die im Hause sind.
Also lasst euer Licht leuchten vor den Leuten,
dass sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.

Wir wollen unser renoviertes Gemeindehaus nicht nur am Tage für jedermann durch seine rote Farbe klar erkennbar machen, sondern auch in der Finsternis und in der dunklen Jahreszeit werden wir unser Gemeindehaus erstrahlen lassen. Dazu war mehr als ein Fiat Lux – es werde Licht notwendig.
Leitungen mussten verlegt werden. Leuchter ausgewählt und installiert werden und vieles mehr.

Wichtig war, dass alle Bereiche rundherum gut ausgeleuchtet sind, damit keiner zu Schaden kommt. Jeder soll sehen, hier ist etwas los, hier findet etwas statt. Hier feiern wir in den Wintermonaten unsere Gottesdienste. Hier feiern wir unsere Feste und hier treffen sich unsere Gruppen und Kreise. So wie die Farbe und der neu gestaltete Eingang, so soll auch das Licht jeden darauf hinweisen, hier bist du willkommen. Hier wirst Du freundlich empfangen. Hier bist Du Zuhause.

Licht ist ein zentraler Begriff, nicht nur in vielen Bibelstellen, auch in unserem Gesangbuch finden sich 105 Lieder die das Licht zum Thema haben. Aus meiner Jungscharzeit ist mir ein Refrain eines Waldenserliedes immer noch in den Ohren:
Lux lucet in tenebris, Licht leuchtet in der Finsternis, der Herr geht uns voran.

Veronika Zilker: Tür, Eingang

Einladende Türen, abweisende Türen, offene Türen, geschlossenen Türen, Ausgang und Eingang.
In meiner Kindheit war unsere Haustüre immer offen, jeder konnte hinein und herausgehen. Wir hatten keine Angst, dass etwas gestohlen wird, wir hatten ja auch nicht viel.
Heute gibt es Schlüsselkinder, schon die Kleinsten tragen einen Schlüssel um den Hals, damit sie nach Hause kommen können. Und was passiert, wenn wir einmal unseren Schlüssel vergessen haben. Manche von uns wissen, wie teuer das wird, wenn der Schlüsseldienst gerufen werden muss.
Verschlossene Türen öffnen sich nur mit dem Schlüssel, der passt. Nur wer den Schlüssel hat, hat die Macht über die Tür. Er kann einlassen und aussperren, Zugang gewähren oder Zugang verweigern, Schlüsselgewalt nennt man das auch. Aber er hat auch die Verantwortung für die, die darin wohnen.
In den Pfingstferien haben wir Urlaub in Ravenna gemacht. Wir haben viele Kirchen besichtigt. Es war angenehm, draußen 30 Grad im Schatten, drinnen angenehme Kühle, wunderbare Mosaiken, in Bildern dargestellte Geschichte der Christenheit.
Im Allgäu hat jedes kleinste Dorf seine schöne Kirche, barock geschmückt mit wertvoller Ausstattung. Sie sind offen, man kann hineingehen, eine Kerze anzünden, beten.
Was ist mit unseren evangelischen Kirchen? Sie sind in der Regel abgeschlossen, warum? Haben wir Angst, dass etwas gestohlen, etwas zerstört wird? Wieso laden wir die Menschen nicht ein, sich im Gotteshaus auszuruhen, Stille zu finden, abzuschalten?
Dies gilt doch auch im übertragenen Sinn. Wie oft stehen wir vor verschlossenen Türen? Wie oft haben wir auch Angst, durch eine Tür zu gehen, über die Schwelle zu treten? Wer öffnet uns die richtige Tür, wenn wir in Not sind?
Da fällt mir das erste Lied im Gesangbuch ein, jeder kennt es:
„Macht hoch die Tür die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit.“
Auch wir wollen die Türen hoch und die Tore weit machen. Wir werden an unserem Gemeindehaus den Eingang umgestalten, freundlicher machen, einladender. Ob uns das gelingt, wissen wir nicht. Auf jeden Fall wollen wir ein offenes Gemeindehaus haben, ohne Schwellenangst.

Fürbitten

Herr wir bitten für die Handwerker an unserem Gemeindehaus, dass sie mit Freude gesund ihre Arbeit verrichten.

Herr wir bitten für alle Menschen, die Not Leiden, krank sind, denen das Leben Mühe bereitet, dass sie das Gerüst bekommen, um ihr Sein freudig zu leben.

Lieber Gott. Lass die Farbe rot auf unsere Gemeinde wirken als Farbe der Freude, der Wärme und der Liebe. Gib, dass unsere Gemeinde sich als Gemeinschaft fühlt und gerne hier zusammenkommt und in Deinem Geiste Gottesdienst feiert.

Vater wir bitten dich, durchleuchte dieses Haus mit dem strahlenden Licht deiner göttlichen Liebe, lass deinen allumfassenden Schöpfergeist durch uns wirksam werden.

Herr, lass Dein Licht leuchten über uns.
Lass Dein Licht leuchten, dass wir den richtigen Weg finden.
Lass Dein Licht leuchten, dass wir Dein Wort und Deine Wahrheit erkennen
und gib uns Deinen Frieden.

Wir gehen nicht gern durch den Haupteingang. Wir fallen nicht gern mit der Tür ins Haus.
Wir sind vorsichtig, zögernd, zweifeln, sind wir drinnen willkommen?
Doch alle Augenblicke sind Türen zu Dir, Herr.
Hilf uns, das zu entdecken auch wenn das Leben eng wird.

Sabine Löw: Vater Unser